18.09.2018 / Ronald Reddmann

Wenn Pilze aus dem Buchrücken schiessen

Fadengeheftete Buchblöcke auf einem Klebebinder zu verarbeiten, ist für jeden Buchbinder eine besondere Herausforderung. Denn je nach Ausführungsqualität der Fadenheftung, der Blockdicke und dem verwendetem Papier beeinträchtigt der sogenannte Pilzeffekt im Rückenbereich die Weiterverarbeitung. Doch das muss nicht sein.

Ist zum einen das Profil des Rückens nicht gerade, sondern eher rund, macht dies eine gleichmässige Beleimung nahezu unmöglich. Ist zum anderen das seitliche Profil des Buchblocks entfernt von einer nahezu rechtwinkligen Ausrichtung, macht es dies für alle dickenabhängigen Parameter (wie Seitenbeleimung, Rückenrillung oder seitliche Pressung) von den Einstellungen und den Bearbeitungsschritten her ebenfalls schwierig.

Ja: Die Verarbeitung von fadengehefteten Buchblöcken auf Klebebindern ist anspruchsvoll.

Aber: Mit der richtigen Vorbereitung, einigen buchbinderischen Tricks (die ich Ihnen im Folgenden verraten möchte) und den richtigen Optionen im Klebebinder Vareo von Müller Martini können Sie eine exzellente Bindequalität erreichen.
Falsch: Ein fadengehefteter Buchblock in ungepresstem Zustand ist nicht verarbeitbar.

Richtiges Abpressen und Benetzen
Neben der immer hilfreichen korrekten Klimatisierung (gleiche Raumtemperatur und relative Luftfeuchte im Bereich der Druckweiterverarbeitung wie beim Offsetdruck) haben sich einige Kniffe als äusserst praktisch bewährt. Grosse Bedeutung kommt dem richtigen Abpressen der fadengehefteten Buchblöcke zu.
  • Abpressen: Richtig Abpressen bedeutet nicht, dass die Buchblocks einfach gestapelt werden, oben und unten eine Holzplatte draufkommt und dann alles mit Gurten zusammengedrückt wird. Denn das führt nur dazu, dass sich die Welligkeit mit Abgabe oder Aufnahme von Feuchtigkeit durch das Papier auf alle Blöcke überträgt – und der Pilzeffekt nicht effektiv reduziert wird. Was übrigens auch dann gilt, wenn nur Pappen zwischen die Buchblocks gelegt werden.

Richtig Abpressen heisst: Jeder Buchblock wird zwischen einer stabilen Holzplatte fixiert. Der Stapel wird dann zum Beispiel mittels Gurten festgezurrt und idealerweise über mehrere Stunden gepresst.
 
Richtig: Jeder Buchblock wird abwechselnd mit einer stabilen Holzplatte abgepresst.
  • Benetzen: Als ebenfalls sehr hilfreich – und als Ergänzung zum korrekten Abpressen – hat sich das leichte Benetzen des fadengehefteten Rückens mit Feuchtigkeit herausgestellt. Die dünne Wasserschicht kann zum Beispiel mit einem Pinsel auftragen werden. Bei Bedarf kann das Wasser mit etwas Kaltleim versetzt werden, so dass eine Lösung mit einer leichten Klebrigkeit entsteht.
Dahinter steckt eine simple Idee: Durch die Feuchtigkeit im Rückenbereich werden die Löcher der Fadenheftung wieder leicht verschlossen. So kann der später im Klebebinder oder der Ableimstrecke aufgetragene Rückenleim gut am Rücken haften und wird nicht durch die Löcher der Fadenheftung in den inneren Falzbereich des Buches gedrückt. Es werden also Leimeinläufe effektiv verhindert.

Allein mit korrektem Abpressen und leichtem Benetzen der Buchblöcke hat einer unserer Vareo-Anwender die Verarbeitbarkeit überhaupt erst sichergestellt und die Bindequalität erheblich gesteigert.
Ein gutes Beispiel: ein abgeleimter und gefälzelter Hardcover-Buchblock mit perfekter eckiger Rückenform.

Spezifische Lösungen im Klebebinder Vareo
Neben der Vorbereitung der Buchblöcke vor dem Binden gibt es für den Vareo eine Reihe von Optionen, welche die Verarbeitung von fadengehefteten Buchblöcken extrem erleichtern. So kann zum Beispiel für den Wechsel von reiner Softcover-Produktion mit gefrästem Rücken auf die Produktion von fadengehefteten Buchblöcken mit der neuen Option Aushangverstellung der Abstand zwischen Klammer und Bearbeitungsstationen automatisch verstellt werden. Für die Softcover-Produktion mit gefrästem Rücken ist ein möglichst kleiner Aushang sinnvoll, damit der Rücken während des Fräsvorgangs und dem Anpressen ordentlich geführt und schön eckig wird. Für eine Fälzel-Produktion von fadengehefteten Buchblöcken ist dagegen ein grosser Aushang hilfreich, damit der Fälzel ordentlich straff herumgezogen werden kann – sowohl am Rücken als auch an den Seiten, je nach seitlichem Fälzel-Überstand.

Bei einer Softcover-Produktion von fadengehefteten Produkten mit Umschlag (also ohne Rückenbearbeitung), kann eine mittlere Aushangeinstellung gewählt werden, um der spezifischen Rückenform ausreichend Platz für eine optimale Beleimung und Umschlag-Anpressung zu geben. Je nach gewünschter Produktionsart wird dabei automatisch auch immer das Zeitmanagement von seitlicher Pressung und Rückenpressung in der Andrückstation angepasst.

Mit der Verfügbarkeit einer Querfälzelstation steht dem qualitativ einzigartigen Auftragen eines Fälzel-Streifens am Vareo nichts mehr im Weg. Dabei kann sowohl die Dicke von Buch zu Buch vollautomatisch verstellt als auch der seitliche Fälzelstreifen-Überstand symmetrisch oder unsymmetrisch und individuell pro Seite eingestellt werden.

Ausserdem stehen beim Vareo optional sowohl im Bereich der Seitenleimscheiben als auch der seitlichen Andrückplatten austauschbare Ersatzteile mit unterschiedlichen Konturen und Höhen zur Verfügung. Mit deren Hilfe kann der Bediener ideal auf die jeweiligen Produkte reagieren und so eine hohe Bindequalität sicherstellen.

Und zum Schluss noch dies
Die verfügbaren Optionen im Vareo selbst und die Wechselteile ermöglichen nicht nur die optimale Bindung von gefälzelten und/oder fadengehefteten Produkten. Sondern auch die Fertigung von hochwertigen Spezialbroschuren – wie Schweizer Broschur oder Otabind (mit speziellen Rillwerkzeugen) – ist möglich. Das ist einzigartig in dieser Maschinenklasse!

Herzlichst Ihr
Ronald Reddmann
Produktmanager Klebebindesysteme