24.03.2020 / Melanie Suhner

Arbeiten mit Maschinen finde ich cool

Ich habe schon als Kind immer gerne etwas von Hand gemacht. In der Schule waren Werken, bildnerisches, technisches und digitales Gestalten meine Lieblingsfächer. Dass mich mein beruflicher Weg eines Tages in Richtung Papier und Maschinen führt, hätte ich damals allerdings nicht gedacht.

Werde ich gefragt, was für eine Ausbildung ich mache, und ich antworte «Printmedienverarbeiterin mit Fachrichtung Bindetechnologie» (so nennt sich das heute tatsächlich – früher sprach man einfach von Industriebuchbinderin), sehe ich in den Gesichtern meiner Freundinnen und Freunde oft ein grosses Staunen. «Print was…?» bekomme ich postwendend als erste Nachfrage zu hören. Erkläre ich im Kollegenkreis meine Tätigkeit dann etwas detaillierter, reagieren viele überrascht: «Oh, klingt interessant, das hätte ich nie gedacht.»

Eine so zierliche Frau an so grossen Maschinen
Es hat vermutlich zwei Gründe, weshalb viele meiner Freundinnen und Freunde derart baff sind. Der eine Grund ist ein herstellungstechnischer. Tatsächlich denken viele, nach dem Druck sei ein Produkt fertig und wissen nicht, dass die Bogen nach dem Verlassen der Druckmaschine noch sammelgeheftet oder klebegebunden werden müssen. Der andere Grund liegt wohl an mir selber: Viele sind erstaunt, dass eine so zierliche Frau mit so grossen Systemen zu tun hat. Doch ich finde es cool, mit Maschinen zu arbeiten.

Schon in meiner Kindheit habe ich gerne etwas von Hand gemacht. So habe ich jeweils vor Weihnachten, Ostern und Geburtstagen zusammen mit meiner Mutter Geschenke gebastelt. In der Schule waren erst Werken und später auch bildnerisches, technisches und digitales Gestalten meine Lieblingsfächer. Aber ehrlich: Dass mich mein beruflicher Weg mal in Richtung Papier und Maschinen führt, hätte ich damals nicht gedacht.

Goldener Tipp vom älteren Bruder
Als es um die Berufswahl ging, schnupperte ich erst im Detailhandel, weil meine Mutter in dieser Branche arbeitet. Doch dies hat mir – sorry, Mama – nicht so gut gefallen. Der goldene Tipp für meinen beruflichen Werdegang kam dann aber trotzdem aus der Familie. Mein zwei Jahre älterer Bruder steckte mitten in der Ausbildung als Printmedienverarbeiter mit Fachrichtung Bindetechnologie (er arbeitet nach wie vor in unserer Branche) und sagte mir: «Schau dir doch das mal an – ich glaube, das wäre auch etwas für dich.» 

Denn genauso wie ihm liegen mir Mathematik (Einwurf Hansjörg Dietrich*: «Wenn wir Lehrlinge rekrutieren, schauen wir immer zuerst auf die Mathematik-Note») und logisches Denken. Und beide haben wir handwerkliches Flair und keine Angst vor Staub. Gesagt getan: Ich schrieb ein paar Bewerbungen an Buchbindereien (Einwurf Hansjörg Dietrich: «So finden wir die meisten Lehrlinge.») in meiner Region und landete bei der Buchbinderei An der Reuss in Luzern prompt einen Volltreffer. 

Hansjörg Dietrich lud mich zu einer einwöchigen Schnupperlehre ein. Weil es für beide Seiten passte, bekam ich kurz darauf eine Zusage und unterschrieb den Lehrvertrag. (Einwurf Hansjörg Dietrich: «Von unseren letzten fünf Auszubildenden waren vier Frauen. Wir zählen auch in der Führung unseres Familienbetriebs auf Frauenpower. Meine fürs Controlling und die Personaladministration zuständige Frau Catherine gehört der Geschäftsführung an, Sandra Hirschi ist Mitglied des Verwaltungsrats.»)



Melanie Suhner dient auch als «Model» für die Lehrstellen-Werbung der Luzerner Buchbinderei An der Reuss.

Die Berufsschule als Spassfaktor
Mittlerweile bin ich bereits in den letzten Monaten meiner vierjährigen Lehrzeit. Nachdem ich zuerst den Betrieb näher kennenglernt hatte, wagte ich mich sukzessive an die verschiedenen Maschinen heran. Erst Schneiden, dann Falzen – 4er, 8er, 16er, Zickzack. So bekam ich ein gutes Feeling fürs Papier. Im dritten Lehrjahr war ich schon so weit, dass ich als selbständige Maschinenführerin am Sammelhefter Primera E140 von Müller Martini arbeiten konnte. Es fühlte sich echt cool an, eine solch grosse Maschine selber zum Laufen zu bringen. Ich arbeite sehr gerne an diesem Sammelhefter. Denn er hat ein einfaches Bedienpanel und lässt sich schnell einrichten. Auf dem Primera E140 werde ich im kommenden Mai auch meine praktische Lehrabschlussprüfung machen.

Stichwort Prüfung: Parallel zur Praxis absolviere ich die Schule für Gestaltung in Bern. Im ersten und zweiten Lehrjahr waren es zwei Schultage pro Woche, im dritten und vierten noch ein Tag. Auch dort ging es zuerst ums Papier, bevor wir immer tiefer in die Technologie sämtlicher Weiterverarbeitungs-Systeme eingeweiht wurden – auch von Buchlinien, obwohl wir bei An der Reuss gar keine Hardcover-Produkte machen. Auch die Betriebsbuchhaltung lernte ich kennen. Für mich ist die Schule der gleiche Spassfaktor wie das Arbeiten an der Maschine. Ich bin noch nie so gerne zur Schule gegangen wie jetzt und habe mir mit der Zeit ein recht grosses Fachwissen aufgebaut. 

Das vergessene Lineal in der Schneidmaschine…
Dieses vertiefe ich jeweils mit dem Lehrlingsbeauftragten in unserem Unternehmen, Patrick Strotz, und dessen Stellvertreter Peter Meier. Mit beiden pflege ich einen regen Gedankenaustausch und lerne dabei viel. Sie sind auch nachsichtig, wenn mir mal ein Fehler passiert – wie beispielsweise zu Beginn meiner Lehre, als ich vergessen habe, ein Lineal aus der Schneidmaschine zu entfernen und prompt eine grosse Scharte ins Messer gemacht habe. 

Die Firmenphilosophie von An der Reuss basiert auf konstruktiver Kritik und ist lösungsorientiert – und der familiäre Umgang untereinander ist ein Markenzeichen. Ich kenne praktisch alle anderen 40 Mitarbeiter, und es macht mir Spass, jeden Morgen zur Arbeit zu kommen. Deshalb möchte ich nach der Lehrzeit gerne im Betrieb bleiben. (Einwurf Hansjörg Dietrich: «Die drei letzten Lehrabgänger arbeiten nach wie vor in unserem Betrieb, und ich gehe davon aus, dass wir auch Melanie Suhner weiterbeschäftigen werden.»). 

Längere, komplexere Texte viel lieber auf Papier
Was meine weitere berufliche Laufbahn anbelangt, so habe ich keinen eigentlichen Karriereplan. Ich lasse die Zukunft auf mich zukommen und freue mich nach Abschluss der Ausbildung, weiterhin täglich zeigen zu können, was ich gelernt habe. Denn ich finde es faszinierend, fertige Printprodukte zu machen, die andere dann in ihren Händen haben. Ich bin auch schon in Buchhandlungen gewesen und habe dann gedacht: «Wow, dieses Buch habe doch ich gemacht!»

Natürlich diskutieren wir in der Berufsschule oft über die Bedeutung von Print in der heutigen Zeit und dass die Boomjahre in unserer Branche wohl vorbei sind. Doch ich bin überzeugt, dass Print eine Zukunft hat. Klar lese auch ich Kurznachrichten aus aller Welt heute eher auf dem Smartphone. Aber ich habe gerne ein Buch – besonders angetan haben es mir Mangas – oder eine Zeitschrift in der Hand und lese längere, komplexere Texte viel lieber auf Papier. Deshalb habe ich auch die sechs Mal jährlich erscheinende Schweizer Zeitschrift «Reportagen» mit interessanten Stories aus aller Welt abonniert.

Live beim Aufbau des neuen Klebebinders dabei
Dass auch die Buchbinderei An der Reuss an die Zukunft der grafischen Branche glaubt und mit der kürzlichen Investition in einen neuen Klebebinder Alegro nicht nur nach aussen, sondern auch nach innen ein Zeichen der Stärke aussendet, freut mich als Mitarbeiterin natürlich. Zwar bin ich nicht die grosse Softcover-Expertin. Aber es war spannend, live mitzuerleben, wie die Müller Martini-Techniker eine so grosse Maschine bei uns aufgebaut haben. Und ich finde es cool, welche neuen Möglichkeiten bei der Produktgestaltung – beispielsweise Schweizer Broschur – uns der Alegro bietet.

*Hansjörg Dietrich (Leiter Betrieb & Technik) ist zusammen mit seinem Bruder Urs Dietrich (Leiter Verkauf) Besitzer der 1946 gegründeten Buchbinderei an der Reuss, bei der er seit vielen Jahren auch für die Lehrlingsrekrutierung und -weiterbildung verantwortlich zeichnet.




Ihre
Melanie Suhner
Lehrtochter Printmedienverarbeiterin mit Fachrichtung Bindetechnologie bei der Buchbinderei An der Reuss in Luzern, Schweiz