28.03.2023 / Frank Baier

Buchbinden mal audiovisuell

Videos und Tutorials zum Thema handwerkliches und industrielles Buchbinden? Bislang sind audiovisuelle Inhalte über Papierverarbeitung eher eine Nische.
 
Wir kennen alle den Spruch Bilder sagen mehr als 1000 Worte. Suchen wir Inhalte zu einer Thematik, recherchieren wir zuerst im Internet. Indessen sind dort nicht nur Fotos und Bildergalerien, sondern auch Videos und Tutorials beliebte Eye-Catcher. Audiovisuelle Angebote vermitteln Inhalte – meistens unabhängig von der Thematik – heutzutage besonders eindrucksvoll. Die Auswahl an aussagekräftigen Videos über professionelle Buchbindung und Papierverarbeitung ist jedoch eher gering und dürftig.
 
Passende Inhalte zu «filtern», ist schwierig
Sowohl ambitionierten Laien als auch erfahrenen Fachleuten könnte es schwerfallen, auf den Videoportalen für ihre persönlichen Anforderungen passende Inhalte zu «filtern».
 
  • Mehrere Direkt-Links verweisen auf Homepages oder Bestellportale von Print-Dienstleistern, stimmen nicht immer mit dem Thema überein und sind schlichtweg bezahlte Werbung.
  • Diverse Videos zur oft gestellten Frage «Wie entsteht eigentlich in Buch?» sind Inhalte von engagierten Laien, motivierten Influencern oder ideenreichen Künstlern und agieren auf dem Level von «Do it yourself».
  • Angebote von Betrieben der Papierverarbeitung sind Reportagen, Tutorials und Werbefilme, vermitteln aber gerade im handwerklichen Bereich gewisse Assoziation zur Nostalgie.
 
Industrielle Unternehmen
Verbreitet ist der Hinweis von Firmen auf ein weit zurückliegendes Jahr ihrer Gründung. Somit beruft sich die Firmengruppe Appl mit Stammsitz in Wemding in einem Zwei-Minuten-Video auf eine Tradition seit 1899. Aufnahmen vorrangig aus den Bereichen Offsetdruck und Fadenheftung mit dem Fokus der industriellen Hardcover-Buchproduktion werden zu musikalisch-dynamischen Synthesizer-Klängen ohne jegliche auditive oder visuelle Kommentierung präsentiert. Zusehende benötigen schon etwas Fantasie, um den Workflow des Betriebes zu verstehen.
 
Beispiel für einen Werbefilm ist das Video der seit fast 90 Jahren existierenden Buchbinderei Haggenmiller aus Lindenberg im Allgäu. Der Beitrag ist mit rund einer Minute kurz und knapp, wie man es von zahlreichen Internet-Videos gewohnt ist. Dennoch bekommen Zuschauende kaum mehr zu erfahren, als dass die Spezialisierung der industriellen Buchbinderei in der Produktion von Broschuren, Magazinen und Prospekten besteht.
 
Soziale Netzwerke sind für die Buchbinderei Schaumann in Darmstadt (deren Entwicklung geht auf 1963 zurück) ein Teil moderner Kommunikation. Bei einem Video-Rundgang von rund zehn Minuten klären Ulrike und Reiner Vettermann über die Reihenfolge der einzelnen Prozessschritte im Auftrags-Workflow auf. Folglich werden Interessierte durch Sachbearbeitung, Warenannahme, Musterbau, die von vielen Technologien gekennzeichneten Produktionsabteilungen und die Versandlogistik geführt. Sicher sollten Zuschauende Fachbegriffe kennen, um Zusammenhänge erkennen zu können. «Wir sind zu allen Schandtaten bereit für Sie», macht Reiner Vettermann etwas ironisch klar. Deutlich wird der Anspruch des Unternehmens, das Kundenwünsche stets erst nehmen möchte.
 
Handwerkliche Dienstleister
Häufiger als von den industriellen Papierverarbeitern finden sich audiovisuelle Beiträge von handwerklichen Buchbindereien im Internet. Eine Unternehmerin studierte Buchbinden und Kalligrafie in England und ist heute in Dresden aktiv: Marí Emily Bohley erläutert in einem Video einige wichtige Buchbinder-Werkzeuge – darunter Falzbeine, Papiermesser, Metalllineale, Skalpelle, Scheren, Schneidematte, Ahle und Stechzirkel, die bei ihrer Tätigkeit im Einsatz sind.
 
Eines der von der Buchbinderei Christian Fuchs aus Saalfelden (Österreich) kursierenden Videos macht auf sehr Spezielles aufmerksam: von der eigenen Grafikabteilung individuell konzipierte, selbst veredelte und handgefertigte Speisekarten. Hierzu wirbt der Unternehmer mit Slogans wie «Alles unter einem Dach» und «Alles aus einer Hand».
 
Johannes Schneider ist Buchbindermeister mit eigener Werkstatt in Mainz und hat sich vielfach Buchreparaturen von der Bibel bis zum Comic verschrieben. Sehr emotionale Ansichten gibt er in einem Video preis: Bücher sind für ihn keine Aufträge, sondern liebgewonnene Patienten, die aus leidenschaftlicher Hingabe behandelt werden wollen. Häufiger sieht er sich verführt zur Lektüre, zudem fällt es ihm schwer loszulassen, sobald das reparierte Buch die Werkstatt verlässt: «Jedes Buch hat die Berechtigung, wiederhergestellt zu werden.» Zusätzlich publiziert er in seinem eigenen Verlag selbstgebundene Editionen mit kleinen Geschichten und Gedichten.
 
Zwischen selbstgedrehten Tutorials und professionellen TV-Videos finden sich jedoch einige Beiträge, die eine Zukunft für das handwerkliche Buchbinden deutlich in Zweifel ziehen. Dort ist vom längst ausgestorbenen oder allmählich sterbenden Gewerk die Rede. Appelliert werden muss deshalb an die handwerklich Selbstständigen in den Werkstätten, mit innovativen Dienstleistungen und originellen Kartonageprodukten in stärkerem Masse eigene Beiträge für eine bessere Wahrnehmung des klassischen Buchbindens zu leisten.
 
Ihr
Frank Baier,
Chefredakteur «Bindereport»
28.03.2023 Frank Baier Chefredakteur «Bindereport»