22.11.2022 / Hans Joachim Laue

LNG am Hut eines Buchbinders?

Die Welt wird seit einiger Zeit durchgeschüttelt – aktuell von einem Krieg in Europa, der zudem Energiemangel befürchten lässt. Da kommt LNG als Lösungsansatz ins Spiel. Gemeint ist Flüssiggas (LNG = Liquefied Natural Gas). Aber was hat es auf sich mit LNG am Hut eines Buchbinders?
 
Erdgas ist ein wichtiger fossiler Brennstoff, der Wärme liefert, zur Stromerzeugung dient und auch als Treibstoff nutzbar ist. Wird Erdgas raffiniert, das heisst von Kohlendioxid, Stickstoff und Schwefel gereinigt und bei minus 162 Grad Celsius abgekühlt, dann erhält man Flüssiggas. Ein ganz entscheidender Effekt bei diesem Prozess ist die Schrumpfung des Volumens: Aus 600 Kubikmetern Erdgas wird ein Kubikmeter LNG und kann so leichter gelagert und transportiert werden.
 
Vom Förder- zum Verbraucherland
Staaten wie die USA, Katar und Australien fördern Erdgas und exportieren es in die Verbraucherländer. Das setzt eine entsprechende Infrastruktur voraus – nämlich LNG-Terminals sowohl für den Export als auch für den Import. Einerseits muss das Flüssiggas für den Transport nach Europa in Gastankschiffe hineingepumpt und anderseits wieder herausgepumpt werden. An den Import-Terminals kann LNG für den Weitertransport in kleinere Tanks des Schienen-, Strassen- und Schifffahrtverkehrs umgeladen werden.
 
Durch Erwärmung, die allerdings nicht ohne Energieverbrauch vonstattengeht, wird das Flüssiggas wieder als Erdgas aufbereitet. So kann das Gas in übliche Gasnetzwerke eingespeist werden. Vor fast 20 Jahren setzte beispielsweise die Hamburger Reederei F. Laeisz schon LNG-Tanker auf den Weltmeeren ein.
 
Vom Buchbinder zum Reeder
Dies ist insofern bemerkenswert, weil die Gründung dieses Schifffahrtunternehmens auf die Seidenhut-Fabrikation ab 1824 durch den gelernten Buchbinder Ferdinand Laeisz (1801–1887) zurückreicht. In Hamburg hatte Laeisz das Buchbinden erlernt und in Berlin das Hutmachen kennengelernt. Zurückgekehrt nach Hamburg, begann er selbst mit der Fabrikation von exklusiven, seidigen Zylinderhüten. Wie man Schuber anfertigen kann, lernt jeder Buchbinder. Im übertragenen Sinne ist ja ein Zylinderhut so etwas ähnliches. Mit der Herstellung und dem Handel der Kopfbedeckungen, die er ab 1825 nach Buenos Aires exportieren konnte, machte er ein Vermögen.
 
Um 1840 liess er eine hölzerne Brigg bauen und wurde Reeder, der sich massgeblich an der 1847 gegründeten Hamburg-Amerikanischen Paketfahrt-Aktiengesellschaft HAPAG beteiligte. Ab 1852 führte er die eigene Reederei zusammen mit seinem Sohn Carl Heinrich Laeisz (1828–1901), beide sehr ideenreiche Unternehmer. Mit den stählernen und schnellen Viermastbarken, deren Namen alle mit P anfingen, setzte der Aufschwung der Reederei ein. Die Frachter der «Flying-P-Liner» transportierten von Hamburg und Antwerpen europäische Produkte nach Südamerika als Stückgut und kamen mit Salpeter als Sackgut zurück.
 
Natürlicher Salpeter, das heisst abgelagerter, verwitterter Vogelkot der Guanos, aus dem Natriumnitrat gewonnen wurde, war lange Zeit eine gefragte Substanz für die Herstellung von Düngemitteln und Glas sowie von Schiess- und Sprengstoff. Mit der Erfindung zur Erzeugung synthetischen Natriumnitrats verlor die Einfuhr von Salpeter aus Chile an Bedeutung.
 
Immer wieder neue Geschäftsideen umgesetzt
Nach Zwangspausen der eigenen Flotte im Ersten und Zweiten Weltkrieg, den darauffolgenden schwierigen Neuanfängen und dem Aus der Segelfracht mit dem Untergang der «Pamir» im September 1957 fand man stets neue lukrative Geschäftsideen, so dass die Flagge der Reederei F. Laeisz, gegründet von einem Buchbinder vor fast 200 Jahren, immer noch im Wind weht.
 
Im globalen Handel über die Weltmeere werden Spezialschiffe für den Transport von Kraftfahrzeugen, Containern und Flüssiggas benötigt. Die Reederei F. Laeisz verfügt über eine derartige Flotte und hat sozusagen LNG am Hut ihres Gründers. Auch am deutschen Forschungsschiff «Polarstern», das seit 40 Jahren immer wieder mal in arktische Gewässer aufbricht, gehört zum «Fuhrpark».
 
Grafische Berufe mit Potenzial
Das ist nur ein Beispiel, dass eine Lehre im Handwerk oder in der Industrie, früher wie heute, das Potenzial bietet, aus Lernenden Meister ihres Fachs werden zu lassen. Egal, ob heute in den drei deutschsprachigen DACH-Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz Ausbildungen zum Buchbinder, Buchbindetechniker, Buchbindetechnologe, Druckausrüster, Medientechnologe Druckverarbeitung oder Postpresstechnologe für alle Geschlechter stattfinden – am Ende zählt, was die Ausgebildeten in Handwerk und Industrie daraus machen. Manche setzen auf ihre künstlerische Ader, andere sind Technikfreaks durch und durch oder Business gewinnt die Oberhand – auch in einem anderen Geschäftsfeld.
 
Seis drum, Basis bleibt Basis. «Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen.» Dieses Zitat stammt aus «Die Stadt in der Wüste» von Antoine de Saint-Exupéry (1900–1944), dem Kultautor von der «Der kleine Prinz» – einem Buch, das über 140 Millionen Mal verkauft worden ist. Mit modernen Maschinen zur Druckweiterverarbeitung, auch für Einzelexemplare und Kleinauflagen, kann man die Zukunft anpacken. Müller Martini macht das mit seinen modernen Finishing 4.0-Systemen möglich.
 
Ihr
Hans Joachim Laue,
Fachjournalist «im Ruhestand» und Herausgeber «Tagebuch der Buchbinderei und Druckweiterverarbeitung». 2021 sind Band 1–3, 16.–18. Jahrhundert, erschienen, im Februar 2022 Band 4 19. Jahrhundert, 240 Seiten, 175 Abbildungen. Band 5 wird das 20. Jahrhundert beleuchten. Zu beziehen beim Müller Martini-Kunden BoD Book on Demand, Norderstedt (Deutschland), oder über jede Buchhandlung (stationär oder online).
 
Lesen Sie von Hans Laue auch diese beiden Interessanten Blogs zur Buchbinder-Geschichte:
Was für Zeiten (Teil I)
Was für Zeiten (Teil II)
 
Bild: Beispiele von Zylinderhüten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Quelle: Nordisches Museum, Stockholm), © Bildarchiv H. J. Laue (Wikimedia Commons)