28.05.2019 / Erik Kurtz

«Mensch, wir könnten es ja mal so probieren»

Deutschlands führender Buchproduzent Kösel hat sich mit kreativen Hardcover- und Softcover-Lösungen über die Landesgrenzen hinaus einen Namen als Innovationsführer gemacht. Als Gast-Autor dieses Müller Martini-Blogs erläutert der Geschäftsführende Gesellschafter Erik Kurtz, der 2016 zum deutschen Druckereimanager des Jahres gekürt worden ist, das Erfolgsrezept des 425-jährigen Traditionsunternehmens und gibt sich zuversichtlich, dass das gedruckte Buch auch in Zukunft seine Stärken ausspielen wird. 

«Wie machen Sie das nur, dass Ihr Unternehmen schon mehrmals als deutscher Bücherdrucker des Jahres ausgezeichnet worden ist und regelmässig in mehreren Ländern Preise für die besten Bücher des Jahres gewinnt?», werde ich gelegentlich gefragt. Die Antwort auf diese Frage ist natürlich vielschichtig. Aber ein Punkt ist für mich besonders zentral: In unserem Hause ist besonders ausgeprägt, dass alle Leute Spass dabei haben, besondere Dinge zu machen. Wir ticken nicht so wie andere Häuser, wo bei einem Spezialwunsch oder einer Sonderlösung alle sagen: «Ach nee, bleib mir damit vom Hals, das ist viel zu kompliziert und stört nur unsere Prozesse und unsere starren Abläufe.» Wir ticken genau andersrum. 

180 Mann in der Entwicklungsabteilung…
Noch öfter werde ich gefragt, wie gross denn unsere Entwicklungsabteilung sei. Darauf antworte ich dann jeweils schelmisch: «Die ist 180 Mann stark.» Denn bei uns hat jeder Spass am Entwickeln. Sicherlich bin auch ich persönlich ein treibender Kopf und bei vielen Ideen und Entwicklungen mit dabei. Aber wichtig ist, dass jeder in unserem Hause diese Philosophie lebt und mitspielen darf.

Wenn jemand mit neuen Ideen kommt, dann haben unsere Führungskräfte, Maschinenführer und Verkäufer Spass daran, etwas Aussergewöhnliches zu machen. Wir haben auch äusserst kompetente Berater im Aussendienst, die das aufnehmen und in einem ersten Schritt eine Richtung vorgeben können, was gehen könnte und was nicht. Und dann machen wir oft einen Test an der Maschine. Wir nehmen das Material, der Maschinenführer tüftelt mit und sagt: «Mensch, wir könnten es ja mal so probieren, da wär noch eine Idee.» Jeder experimentiert und bastelt mit. Natürlich sind auch wir zahlengetrieben und müssen unsere Leistung bringen. Doch diesen Spieltrieb zuzulassen, ist unser Erfolgsrezept. 

Denken in den Prozessen und Aufgaben der (End-)Kunden
Dazu muss man allerdings die Kundenwünsche verstehen – will sagen: zuhören und aufnehmen, was der Kunde will und um was es ihm geht. Wir denken in den Prozessen und Aufgaben der Kunden und deren Endkunden mit und kreieren dann daraus eine technische Lösung. Es ist also ein Kreativprozess, den wir mitmachen – aber auf einer technischen Ebene.

Dazu gibt es ein von mir sehr geschätztes Zitat des amerikanischen Philosophen und Poeten Ralph W. Emerson: «Jeder grosse und eindrucksvolle Moment 
in den Annalen der Weltgeschichte 
hat seinen Ursprung in der Begeisterung.» Getreu diesem Motto wollen wir unsere Begeisterung bei der Entwicklung und Herstellung schöner Bücher auf unsere Kunden übertragen, aber auch bei ihnen und deren Kunden (den Lesern und Buchkäufern) Begeisterung auslösen.
Mit Added Values den Kampf um die Leser gewinnen
Markenzeichen von vielen unserer Bücher sind exklusive Veredelungen wie Glanz-, Matt- oder Soft-Touch-Folien, digitaler Spotlack, ein- oder mehrfarbige Heissfolienprägungen, abgerundete Ecken an Buchblock und Decke, Laserstanzungen und personalisiertem Bedrucken der Schnittkanten mittels Kösel-Farbschnitt. Solche Added Values sind gerade vor dem Hintergrund digitaler Konkurrenzmedien im Kampf um die Leser besonders wichtig. Denn die entscheidende Frage lautet: Wie und wo findet eine Kaufentscheidung statt? 

Wenn eine Kaufentscheidung ausschliesslich Content-getrieben fällt, dann lade ich mir ein E-Book runter oder gebe bei Amazon ein, was ich will – da spielen der Spotlack oder die Folie keine Rolle. Added Values jedoch beeinflussen am Point of Sale die Kaufentscheidung. Kösel kommt deshalb vor allem dann ins Spiel, wenn es um eine besondere buchbinderische Verarbeitung geht. Zum Beispiel um eine flexible Decke, um ein besonderes Aufschlagverhalten, um die aussergewöhnliche Form eines Buches oder um besondere Materialien, die sonst nicht zum Einsatz kommen und die standardmaschinell nicht so einfach zu verarbeiten sind. Solche Produkte erzielen in der Buchhandlung eine spezielle Aufmerksamkeit und können dazu führen, dass jemand schnell zugreift.

Lange Texte sind angenehmer auf Papier zu lesen
Dass ich mich persönlich mit einem gedruckten Buch leichter tue als mit einem E-Book, dürfte Sie wohl wenig überraschen. Ich finde es angenehmer, aber das ist letztlich auch eine Frage, wie wir unser Leseverhalten gelernt haben – eine Gewohnheit also. Es wäre aber falsch, das auf die heranwachsende Generation zu reproduzieren. Ich glaube jedoch, dass lange Texte am Stück angenehmer auf Papier zu lesen sind. Für kurze Informationseinheiten sind Smartphones und Tablets hingegen haushoch überlegen. Sie sind aber nicht so angenehm, um grössere Mengen – sprich Belletristik oder Romane – zu lesen. Da sehe ich das gedruckte Buch nach wie vor im Vorteil.

Doch auch wenn der weltweite Trend Richtung E-Book gestoppt scheint, bleibt für mich eine spannende Frage im Raum: Wollen nachwachsende Generationen überhaupt noch lange Texte am Stück lesen? Das Informationsaufnahme-Verhalten ändert sich ja. Ich glaube, dass das klassische Lesebuch sich ein Stück weit auch zum Luxusobjekt entwickelt. Es wird nicht mehr ein Massen-Unterhaltungsmedium sein – und folglich sollten die Bücher, ganz im Sinne unserer Firmenphilosophie, verstärkt mit Added Values ausgestattet werden.

Deshalb bin ich zuversichtlich, dass sich das gedruckte Buch in den kommenden Jahren weiterhin gegen die digitale Konkurrenz halten kann. Ich glaube aber auch, dass es insgesamt kein Wachstumsmarkt sein wird. Der Markt wird wohl weiter leicht schrumpfen, aber das Buch wird nicht verdrängt, wie beispielsweise die Vinylschallplatte von den CD verdrängt worden ist und die CD nun durch Streaming-Dienste abgelöst wird. Der Trend beim gedruckten Buch ist deutlich gedämpfter und langsamer.


Ihr
Erik Kurtz
Geschäftsführender Gesellschafter
Kösel GmbH & Co. KG