Mit attraktiven Beilagen das Printformat ausnutzen
Obwohl die markant zunehmende Zahl an Abonnenten primär auf die Online-Ausgabe zurückzuführen ist, hat die gedruckte Version von «The New York Times» mit nahezu 900 000 Exemplaren immer noch eine immense Bedeutung. Die «NYT» überrascht ihre Leser immer wieder mit spannenden Printrubriken – wie beispielsweise die monatlich erscheinende «The New York Times for Kids».
Um mehr über das erfolgreiche Kombi-Modell Print/Online der «NYT» zu erfahren, traf sich «Panorama» mit Todd Socia. Er ist Senior Vice President – Print Products & Services und seit mehr als 25 Jahren in der Zeitungsbranche tätig.
Die gedruckte Ausgabe von "The New York Times" hat täglich 5 Millionen leser.
«Panorama»: Bitte stellen Sie sich doch kurz vor und verraten Sie uns, wie Sie zu Ihrer aktuellen Stelle gekommen sind.
Todd Socia: Mein Vater, Grossvater und meine Onkel waren alle in der Zeitungsbranche tätig. Bereits als Kind hörte ich mir bei jedem Familien- und Festtagsessen ihre Geschichten und Berichte über aktuelle Probleme an. Erste eigene Erfahrungen sammelte ich als Teenager, als ich für meinen Vater beim «Flint Journal» arbeitete. Mein Aufgabenspektrum reichte vom Kehren der Böden über das Reinigen der Rotationen und das Einlegen von Couponbeilagen bis hin zum Be- und Entladen der LKW. Aufgrund der familiären Prägung und meiner Faszination für den Produktionsprozess entschied ich mich für eine Karriere in der Zeitungsbranche.
Nach dem High-School-Abschluss studierte ich am Rochester Institute of Technology (RIT) Zeitungsbetriebswirtschaft. Er war dies einer von wenigen Management-Studiengängen auf der Welt, der ganz auf das Zeitungsgeschäft ausgelegt war. Während meines Studiums am RIT hatte ich das Glück, zwei Sommerpraktika bei der von Advance Publications veröffentlichten Tageszeitung «Staten Island Advance» (New York) zu belegen. Dabei kam ich mit allen Abteilungen einer Zeitungsredaktion in Kontakt.
Nach meinem Studienabschluss stellte mich Advance Publications als Assistant Production Director der «Times-Picayune» in New Orleans (Louisiana) ein. Dort habe ich viereinhalb Jahre verbracht, bevor ich entschied, mich bei Western Lithotech der Vertriebsseite des Geschäfts zu widmen. Das Unternehmen stellt Druckplatten, Chemikalien und automatisierte Systeme zur Druckplattenbearbeitung für die Zeitungsbranche her.
Während meiner dortigen Tätigkeit bekleidete ich verschiedene vertriebsnahe Positionen. Zuletzt leitete ich als Vice President of Sales die Zeitungsabteilung. Nach 16 Jahren bei Western Lithotech wechselte ich 2005 als Managing Director of National Production zu «The New York Times». Während der letzten 15 Jahre wurden mir verschiedene Posten mit zunehmender Verantwortung übertragen, bis hin zu meiner heutigen Funktion als Senior Vice President – Print Products & Services.
Können Sie sich daran erinnern, welche grossen Themen die Branche 1985, als Sie Ihre Karriere in der Zeitungsindustrie starteten, prägten?
Auf der operativen Seite standen die Verlage Mitte der 1980er Jahre vor der Aufgabe, mehr in Farbe zu drucken und die allgemeine Druckqualität ihrer Produkte zu verbessern, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre wurden die meisten Zeitungen in den USA noch immer schwarz-weiss gedruckt, da die Rotationen nur begrenzte Farbkapazitäten hatten. Wenn mit Farbe gedruckt wurde, war dies meist Schmuckfarbe mit einer geringen Qualität. Die 1982 gegründete Tageszeitung «USA Today» bewies der Branche, dass sich Fotos und Werbeanzeigen im Vier-Farben-Druck auf Rotationen drucken lassen. Ab Mitte der 1980er bis in die 1990er Jahre hinein investierten die grössten US-Zeitungsverlage in neue Offset-Rotationen und häufig auch in neue Versandräume, um den Anzeigenkunden und Abonnenten farbenfrohere und höherwertige Printprodukte anbieten zu können.
Zurück zur Gegenwart: Welche Themen beherrschen die Zeitungsbranche heute?
Was die Printseite des Geschäfts angeht, ist das Trendthema die massive Branchenkonsolidierung, die sich derzeit beobachten lässt. Die Übernahme von Gannett durch GateHouse ist das wichtigste Beispiel in jüngerer Zeit.
Sie beziehen sich darauf, dass zwei der grössten amerikanischen Zeitungshäuser wegen des Einbruchs des Printgeschäfts fusioniert haben. GateHouse Media erwarb Gannett, den Verleger von «USA Today». Das neu entstandene Unternehmen besitzt nun über 260 Tages- und mehr als 300 Wochenzeitungen. Was sagen Sie die dieser Konzentration?
Um Skaleneffekte zu erzielen und Kosten einzusparen, übernehmen grosse Konzerne kleinere Verlage und deren Portfolio. Wir gehen davon aus, dass es künftig immer weniger, dafür immer grössere Verlagshäuser geben wird. Viele davon werden von Hedge-Fonds kontrolliert – ein grosser Wandel im Vergleich zu früheren Jahrzehnten. Ein weiteres Thema sind die finanziellen Sorgen, mit denen sich viele kleinere Printverlage konfrontiert sehen. Die Publikation von Printmedien ist ein Skalengeschäft. Durch den starken Rückgang der Printwerbung und den Umstieg von Abonnenten auf digitale Plattformen fällt es kleineren Verlagshäusern immer schwerer, wirtschaftlich zu arbeiten. Nahezu jedes vierte US-Zeitungshaus musste seit 2004 schliessen. Viele waren gezwungen, Mitarbeiter zu entlassen, Inhalte zu streichen und die Erscheinungsfrequenz zu reduzieren, um überleben zu können. Dies gibt Anlass zu grosser Besorgnis, da viele Gemeinden durch die Einstellung lokaler Zeitungen ihrer einzigen Quelle für zuverlässige, hochwertige und regionale Nachrichten beraubt werden.
Wie sieht es bezüglich der Leserschaft Ihrer Zeitung aus? Konnten Sie die Abonnentenzahlen für die Print- und Onlineausgabe in den letzten fünf Jahren steigern?
Wir verzeichneten in den letzten fünf Jahren plattformübergreifend ein starkes Wachstum. Die Anzahl der Printabonnenten geht zwar langsam zurück, doch der Zuwachs im digitalen Bereich machte diesen Verlust mehr als wett. Netto gewannen wir 2019 mehr als eine Million Online-Abonnements hinzu – das ist der der höchste Wert seit der Einführung des Bezahlmodells im Jahr 2011. Insgesamt verwalten wir derzeit mehr als fünf Millionen Abonnements. Davon entfallen 3,4 Millionen Abonnements auf Nachrichten, mehr als 300 000 auf Rezepte («NYT Cooking»), 600 000 auf Kreuzworträtsel («NYT Crossword») sowie nahezu 900 000 auf die Printausgabe – eine nach wie vor sehr robuste Anzahl. Unser Ziel ist es, bis 2025 zehn Millionen Abonnenten zu erreichen.
Wie teilen sich die Abonnements zwischen der Print- und Onlineausgabe auf, und wie entwickelt sich die «NYT» im Vergleich zu anderen grossen Zeitungstiteln in den USA?
Etwa 20 Prozent unserer Abonnements entfallen auf das Printformat. Wir belegen derzeit Rang 3 bei den US-Tageszeitungen und Platz 1 bei den gedruckten Sonntagsausgaben. Im digitalen Bereich sind wir mit 3,4 Millionen Abonnementen der grösste Nachrichtenanbieter.
Wie setzt sich die Leserschaft Ihrer Printausgabe zusammen?
Aktuell lesen täglich mehr als fünf Millionen Leute unsere Printausgabe. Das sind mehr als im Jahr. Unsere Leserschaft ist jünger, als man vermuten könnte. Obwohl alle Altersstufen vertreten sind, ist mehr als ein Drittel unter 35 Jahre alt. Unsere Leser sind wohlhabend und hochgebildet. Ihr jährliches Durchschnittseinkommen liegt bei 90 000 US-Dollar. Mehr als ein Viertel hat ein Studium absolviert – das ist mehr als doppelt so viel wie der nationale Durchschnitt.
Wie bewerten Sie die folgende Behauptung, die trotz der Verschiebung hin zum digitalen Vertrieb unverändert zuzutreffen scheint: Für seriöse Nachrichtenkonsumenten hat die «NYT» im Printbereich wenig Konkurrenz, während die Zahl der Mitbewerber online unendlich ist.
Online sind wir ganz klar mit mehr Konkurrenz konfrontiert als im Printgeschäft. Dies liegt an der Art des Formats. Unsere härtesten Konkurrenten im Printbereich sind andere nationale und in gewissem Masse auch lokale/regionale Blätter. Wir können jedoch in beiden Branchenbereichen erkennen, dass viele Verlage grossartige Arbeit leisten – wie «The Washington Post» im Bereich Politik, das «Wall Street Journal» für die Geschäftswelt, die BBC im Bereich internationale Angelegenheiten oder der «New Yorker» für Kultur. Wir sehen diese Konkurrenz als positiv an: Mehr hochwertige Nachrichtenorganisationen sind für uns alle besser. Wir sind aber auch sehr stolz auf unsere eigene Redaktion und die wirkungsvolle Arbeit, die sie vollbringt. So waren es unsere Berichte, welche die #MeToo-Debatte angeheizte, zu Reformen technischer Plattformen anregte, die Abstimmung des Senats zur Beendigung der Gräueltaten im Jemen unterstützte und sogar bei der Befreiung eines elfjährigen thailändischen Mädchens aus einer Kinderehe half.
Gehen Sie davon aus, durch den Fokus auf die Online-Ausgabe eine grössere internationale Leserschaft zu erreichen? Welche Auflagenzahlen erreicht Ihre Printausgabe im Ausland?
Angesichts der Grösse und Komplexität des Nachrichtenzyklus gehen wir davon aus, dass die Nachfrage nach hochwertigem Journalismus auf der ganzen Welt weiter zunehmen wird. Wir sehen unsere Rolle darin, die lokalen Medien zu unterstützen, indem wir wichtige globale Themen – wie beispielsweise die Umwelt – abdecken, aber auch indem wir Lesern einen tieferen Einblick in die US-Nachrichten geben. Gerade Letzteres beschert uns viele Leser aus dem Ausland. Das bedeutet, dass wir internationale Märkte als signifikante Wachstumschance betrachten. Wir geben unsere internationalen Printauflagen nicht öffentlich preis, können aber sagen, dass wir die Geschäftschance, die sich für das digitale Format abzeichnet, erkennen. Ende 2012 hatten wir 51 000 Abonnenten von ausserhalb der USA. Diese Zahl ist bis zum dritten Quartal 2019 auf 525 000 gestiegen, hat sich also verzehnfacht. Wir haben uns das ehrgeizige Ziel gesetzt, diese Zahl bis 2025 mindestens zu vervierfachen – auf zwei Millionen.
Was brennt Ihnen am Ende dieses Interviews noch auf der Zunge?
Es besteht kein Zweifel, dass das gesamte Printgeschäft zurückgeht. Wie viele andere Unternehmen treffen auch wir Vorkehrungen, um im Zeitalter der digitalen Medien und Breitbandversorgung bestehen zu können. Trotzdem halten wir an der Mission und den Werten fest, die «The New York Times» ausmachen. Auf unserer Website www.NYTCo.com fassen wir dies wie folgt zusammen:
«All unsere Mitarbeiter – ganz gleich, ob sie Nachrichten zusammenstellen, den (finanziellen) Wert unserer journalistischen Arbeit erklären, das Recht auf Pressefreiheit verteidigen oder an einer der Phasen zwischen Druck und Auslieferung unserer Zeitung beteiligt sind – wissen, dass journalistische Integrität an erster Stelle steht.»
Die laufende Neudefinition der Medienlandschaft wird sich weiter fortsetzen. Ob Printausgaben jemals Geschichte sein werden? Es ist schwer zu sagen, was in 25 Jahren die Norm sein wird. Was wir wissen, ist, dass erfolgreich betriebene Zeitungen als elektronische Kanäle und Portale für Informationen und Unterhaltung verschiedenster Art dienen. Doch auf absehbare Zeit möchten immer noch viele Leute «The New York Times» als Printausgabe zur Haustüre geliefert bekommen.