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04.07.2023 / Knud Wassermann

KI-Lösungen in der Publishing- und Druckindustrie (Teil 2)

Nachdem wir uns vor einer Woche im ersten Teil einen Überblick zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) verschafft haben, schauen wir uns jetzt an, wo und vor allem wie KI in der Publishing- und Druckindustrie heute und in Zukunft eingesetzt wird.
 
Qualitäts- und Prozessoptimierung sind in der Druckbranche seit vielen Jahren ein Thema. Oft kommt dabei Künstliche Intelligenz zum Einsatz, die sich gezielt um einzelne Aufgabenstellungen kümmert. In der Regel werden solche Ansätze als schwache KI-Lösungen eingestuft. Mittels Bilddatenerfassung und -erkennung wird etwa die Qualität über alle Prozessstufen hinweg kontrolliert, und im Falle einer Abweichung von den Referenzdaten gleicht eine Software diese automatisch aus.
 
Das passiert on-the-fly ohne jeglichen manuellen Eingriff und ist schon fast Stand der Technik. Das trifft auf analoge wie digitale Druckmaschinen gleichermassen zu. Aber auch auf dem Gebiet der Prozessoptimierung ist vieles weitergegangen, und die Gesamtanlagen-Effektivität (OEE) wird kontinuierlich angehoben.
 
«Machine Learning»
Hinter dem Kürzel OEE steckt eine betriebswirtschaftliche Kennzahl, die den Prozentsatz der tatsächlich produktiven Fertigungszeit misst. Der Durchschnittswert bei Offset-Druckmaschinen liegt nach aktuellen Zahlen von Heidelberg gerade mal bei etwas über 30 Prozent. Hier gibt es also Luft nach oben. Denn einzelne Unternehmen, die voll auf Automatisierung und Optimierung setzen, erzielen je nach Auftragsmix heute schon Spitzenwerte von mehr als 60 Prozent.
 
Durch die Einbindung der Maschinen in cloudbasierte Lösungen lassen sich Auftragsabfolgen, Rüstzeiten, Makulaturraten, Prozessstabilität und vieles mehr verbessern. Aber auch präventive Wartungskonzepte helfen, die Verfügbarkeit der Maschinen hochzuhalten. Dazu braucht es Big-Data-Anwendungen, die über die Cloud laufend mit neuen Daten versorgt werden und so ein «Machine Learning» ermöglichen.
 
KI und Robotik – ein Dream-Team
«Durch die Analyse von Produktionsdaten können KI-Algorithmen Prozessoptimierungen vorschlagen, um Effizienz und Qualität der Druckweiterverarbeitung zu verbessern», sagt Stefan Bulgheroni, der als Senior Solutions-Experte bei Müller Martini die Entwicklung im KI-Bereich verfolgt. Bei dieser Gelegenheit verweist er darauf, dass man sich bei der Implementierung von KI-Lösungen bei Müller Martini noch in der Startphase befinde. Das Potenzial aber sei durchaus gegeben, auch in der Druckweiterverarbeitung auf KI zu setzen. Allerdings müsse man hier über die reine Maschine hinausdenken – etwa in Richtung Workflow-Management und Lagerhaltungskonzepte, um die Anlagen mit den notwendigen Daten, Bedruckstoffen als auch Verbrauchsmaterialien zu versorgen.
 
Wenn man an KI denkt, drängt sich natürlich auch die Frage nach dem Einsatz von Robotern auf. Erste Lösungen sind bereits im Einsatz und entlasten das Personal deutlich. «Durch den Trend zu kleineren Auflagen und zunehmender Variabilität treten bei unseren Kunden verstärkt Probleme in der Intralogistik auf. Robotik-Systeme könnten bei der automatischen Beschickung und dem Abstapeln oder bei der Sortierung helfen», betont der Experte von Müller Martini.
 
Content aus der KI
Insofern könnte man den aktuellen KI-Hype abtun und darauf verweisen, dass das Thema nicht wirklich neu ist. Doch ChatGPT und andere Tools wie etwa Midjourney verfolgen einen komplett anderen Ansatz – nämlich den einer «generativen KI». Auf Basis einer Unmenge von Daten werden die KI-Tools regelrecht gemästet und generieren bei einer Vielzahl von ganz unterschiedlichen Fragestellungen einen entsprechenden Content. Mit Midjourney können über das dahinterliegende Sprachmodell sehr einfach Bilder erstellt werden.
 
Deshalb war auch der Aufschrei in der Kreativ- und Publishing-Szene auch so gross. Die Angst, viele Aufgabenstellungen im gesamten Designprozess könnten von dezidierten KI-Lösungen übernommen werden, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Das bezieht sich nicht nur auf Text und Bild, sondern umfasst auch die Bereiche Audio und Video. Ein mit KI erstellter Podcast ist mittlerweile schon Realität, und wir stehen erst am Anfang einer rasanten und nicht wirklich absehbaren Entwicklung.
 
Generative KI-Modellen
ChatGPT soll noch in diesem Jahr fixer Bestandteil der Microsoft-Welt werden und in verschiedene Applikationen wie Word oder Teams, aber vor allem auch in den eigenen Browser, integriert werden. Auch Adobe zeigte zuletzt mit generativen KI-Modellen auf, was im Grafikdesign-Bereich alles möglich ist. «Generative KI ist die nächste Evolutionsstufe der KI-gesteuerten Kreativität und Produktivität, die die Konversation zwischen Creator(inn)en und Computer natürlicher, intuitiver und leistungsfähiger macht», sagt David Wadhwani, President of Digital Media Business von Adobe.
 
Das Unternehmen verspricht in diesem Zusammenhang, dass mit Firefly jede und jeder ganz unabhängig vom persönlichen Know-how ihre/seine eigenen Worte in kreative Vorstellungen umwandeln kann – das betrifft Bilder genauso wie Vektorgrafiken, Video, Audio bis hin zu 3D-Animationen. Die ersten Applikationen, die von der Firefly-Integration profitieren werden, sind Express, Experience Manager, Photoshop und Illustrator.
 
Wo liegen die Urheberrechte?
Ein weiteres noch nicht klar geregeltes Thema will Adobe mit der Gründung der Content Authenticity Initiative (CAI) einfangen, um so einen globalen Standard für eine vertrauenswürdige Zuordnung von digitalen Inhalten zu schaffen. Adobe versichert, dass man sich für offene Industriestandards einsetze und dazu die kostenlosen Open-Source-Tools der CAI nutzen will. Ziel sei es, ein universelles «Tag» in den Dateiinformationen zu hinterlegen. So könnten Bildschaffende ausschliessen, dass ihre Inhalte zum Trainieren von KI-Bildgeneratoren verwendet werden.
 
Die Markierung soll mit dem Inhalt verknüpft sein, wo immer dieser verwendet, veröffentlicht oder gespeichert wird. Darüber hinaus werden KI-generierte Inhalte entsprechend gekennzeichnet. Die Frage, wo die Urheberrechte von KI-generierten Bildern liegt, ist damit aber noch nicht geklärt. Die Bildagentur Getty Images hat bereits eine Klage gegen den Bildgenerator Stability AI eingereicht, um hier eine rechtliche Klärung herbeizuführen.
 
Datengetriebene Personalisierung von Design und Content
Omneky verspricht eine datengetriebene automatische «Post»-Erstellung, um für jeden Kunden/jede Kundin die perfekte Anzeige schalten zu können – also eine automatische Generierung von Anzeigen durch die Verbindung von KI. So könnte ein auf das konkrete Profil zugeschnittenes Inserat geliefert und ausgespielt werden. Das Unternehmen betont dabei: «Unsere Algorithmen für maschinelles Lernen analysieren, welche Designs und Botschaften bei potenziellen Kunden auf Resonanz stossen und nutzen diese Erkenntnisse, um Anzeigen zu generieren, die das Engagement des Kunden am besten aktivieren.»
 
Es wird interessant sein, ob solche Ansätze auch in der Printwerbung genutzt werden können. Technologisch spricht eigentlich nichts dagegen, und es könnte das Plug-in «SmartStream Designer» von HP Indigo bereichern.
 
Fazit
Neben den eingangs beschrieben schwachen KI-Lösungen, mit denen sich gezielte Aufgabenstellungen in der gesamte Produktionskette innerhalb der Druckindustrie optimieren lassen, werden gerade generative KI-Lösungen die Kreativ- und Designbranche nachhaltig verändern. Mit wenigen Begriffen sollen neue Bildwelten, Logos oder Fonts entstehen. Welche Anforderungen damit erfüllt werden können, wird letztlich der Markt entscheiden. Für Druckdienstleister könnten sich mit den Tools der Firefly-Plattform Möglichkeiten auftun, Kunden auch verstärkt im Grafikdesign zu unterstützen.
 
Ihr
Knud Wassermann,
Chefredakteur «Graphische Revue»
04.07.2023 Knud Wassermann Chefredaktor «Graphische Revue»