01.03.2023 / Knud Wassermann

«Next Level Automation»

Das ist der Slogan der Hunkeler Innovationdays 2023 – und der ist nur mit durchgängigen, vernetzten Produktions-Workflows zu erreichen. Erst im Rahmen der Vernetzung wird eine datengetriebenen Prozessoptimierung oder ein «Machine Learning» möglich. Was noch vor ein paar Jahren als Konzept vorgestellt wurde, nimmt langsam, aber sicher konkrete Formen an. Das Ergebnis ist einerseits eine enorme Effizienzsteigerung in der gesamten Produktion, anderseits tun sich neue Anwendungsmöglichkeiten als auch neue Geschäftsmodelle auf.
 
Wer sich heute einen Überblick über den High-Speed-Digitaldruck in seinen unterschiedlichen Ausprägungen verschaffen will, kommt an einem Besuch der Hunkeler Innovationdays nicht vorbei. Deshalb ist der Zuspruch für den Branchen-Event sowohl von der Austeller- als auch der Besucherseite in diesem Jahr so gross. Mehr als 100 Aussteller zeigen in Luzern ihre Systeme und Lösungen, und über 6000 Besucher aus aller Welt folgen der Einladung. Darunter befinden sich, wie der Veranstalter betont, fast ausschliesslich Entscheider.
 
Darüber hinaus ist es nach der Pandemie der erste grosse internationale Live-Event der grafischen Industrie. Beim Rundgang durch die Messehallen ist zu spüren, dass den Besuchern der Austausch von Angesicht zu Angesicht in den letzten Jahren gefehlt hat. Menschliche Kommunikation lässt sich eben doch nicht komplett auf digitale Plattformen verlagern.
 
Hotspot der Digitalisierung
Die Herausforderungen, mit denen die Druckindustrie aktuell zu kämpfen hat, sind in allen Märkten weitgehend deckungsgleich. Die Verlagerung der Werbe- und Kommunikationsbudgets hält weiter an, und ein Ende ist nicht abzusehen. Die steigenden Energiekosten haben die Inflationsrate deutlich angeheizt, die Probleme in der Supply-Chain sind auch noch nicht komplett vom Tisch, und vom Fachkräftemangel sind ohnehin alle Branchen betroffen. Vor diesem Hintergrund steigt der Druck zur weiteren Automatisierung in der Druckindustrie weiter an.
 
Bei Müller Martini feierte die digitale Sammelhefter-Linie Prinova Digital ihre Premiere, mit der die Automatisierung auf die Spitze getrieben wurde. Den Anfang der Sammelhefter-Linie bilden eine Abrollstation inklusive Querschneider und eine Falzmaschine, dann übernimmt der Prinova Digital das Zusammentragen und Heften der unterschiedlichen Druckprodukte.
 
In Live-Demos werden in einer ersten Sequenz vier Aufträge in unterschiedliche Auflagen zwischen fünf und 35 Exemplaren und mit unterschiedlichen Seitenumfängen produziert. Die Formatumstellung für die nächste Jobsequenz nimmt gerade einmal 58 Sekunden in Anspruch, dann werden drei weitere Aufträge in unterschiedlichen Auflagen produziert. So entsteht auch ein Hybrid-Produkt, bei dem zusätzlich zum digitalen Inhalt offsetgedruckte Signaturen und ein Umschlag zugeführt werden.
 
Genau solche Produktionsszenarien machen die Hunkeler Innovationdays so speziell – es werden nicht einzelne, isolierte Lösungen präsentiert, sondern vernetzte End-to-End-Workflows, die auch das Anwendungspotenzial aufzeigen. Laut Veranstalter waren in Luzern an die 50 Produktionslinien in den unterschiedlichsten Ausbaustufen zu sehen.

 
Die Zahlen stimmen zuversichtlich
Gerade der Inkjet-Druck hat in den letzten Jahren enorme Entwicklungsschritte verzeichnet. In puncto Qualität kann er sich durchaus mit anderen digitalen Verfahren vergleichen. Die Druckmuster, die in Luzern zu sehen waren, unterstreichen dies – und selbst auf gestrichenen Papieren lässt sich heute eine beindruckende Qualität erzielen.
 
Viele Hersteller verweisen auf die Erweiterung des Farbraums. Canon etwa spricht in Verbindung mit der varionPRINT iX davon, 91 Prozent des Pantone-Farben abzudecken, was von der FOGRA und Idealliance bestätigt sein soll.
 
Der Trend zum Inkjet-Druck lässt sich auch an den aktuellen Installationszahlen ablesen, und auch die Prognosen stimmen zuversichtlich. Für beide Arten von High-Speed-Inkjet-Systemen – Rollen- und Bogendruckmaschinen – wächst der Markt. In Europa wird zwischen 2021 und 2026 ein Wachstum von etwa 50 Prozent für Neuinstallationen von Inkjet-Rollendruckmaschinen erwartet. Die Investitionszahlen von Inkjet-Bogendrucksystemen übertreffen dies bei Weitem – allein in Westeuropa mit 126 Prozent. Gemäss dem Bericht «The Future of Print Equipment Markets to 2026» des Marktforschungsunternehmens Smithers soll dieser Trend anhalten.
 
Bogendruck-Systeme bringen gerade in Verbindung mit Inline-Finishing-Lösungen einen gewissen Charme mit, typische Digitaldruckanwendungen wie etwa Kleinauflagen äusserst effizient und flexibel zu produzieren. Im Bogen-Inkjet ist Canon mit der varioPrint iX der Marktführer. Seit der Einführung im Jahr 2020 wurden alleine in der Region EMEA (Wirtschaftsraum Europa, Naher Osten und Afrika) 125 Systeme installiert, wobei der Schwerpunkt ganz klar auf Europa liegt. Bei Ricoh arbeitet man schon längere Zeit an einem Bogensystem für das B2-Format. Laut Auskunft des Herstellers soll der Betatest abgeschlossen sein, und man stehe kurz vor der Markteinführung.
 
Break-even verschiebt sich zugunsten des Inkjet-Drucks
Mit der neuen Prosper Ultra 520 von Kodak soll sich der Break-even deutlich verschoben haben. Je nach Produkt sind Auflagen von bis zu 8000 Exemplaren realistisch, was die Transformation vom Offset- in den Digitaldruck beschleunigen werde, versicherte der Inkjet-Veteran Randy D. Vandagriff, Senior Vice President, Digital Print bei Kodak.
 
Inkjet war das dominierende Druckverfahren bei den Hunkeler Innovationdays. Gerade einmal zwei Hersteller waren noch mit Toner-Systemen vertreten. Bei Xerox hiess es, dass beide Technologien ihren «Sweetspot» haben. Der Aussteller zeigte mit dem Inkjet-Bogendrucksystem «Baltoro» seine Inkjet-Ambitionen. Bei Xeikon hiess es, dass nicht alle Kunden über das entsprechende Druckvolumen verfügen und der Tonerdruck daher gerade in kleineren Märkten nach wie vor ein interessanter Ansatz sei.
 


Die «Mass Customization» ist in der Druckindustrie angekommen
Auch bei der Substratvielfalt, die früher für viele Druckereien einen Hemmschuh darstellte, hat sich einiges zum Positiven entwickelt, und die Hersteller haben ihre Papierprofil-Datenbanken massiv ausgebaut. Die Druckgeschwindigkeit steht auch nicht mehr so sehr im Fokus wie früher, die sollte gerade vor dem Hintergrund der weiter sinkenden Auflagen vielfach reichen.
 
Um die Effizienz der Anlagen auszuschöpfen, stellen sich ganz andere Fragen. Dazu gehören etwa die Benutzerfreundlichkeit und der Automatisierungsgrad, die laufende Prozess- und Workflow-Optimierung oder die anfallenden Serviceintervalle. Davon hängt es letztlich ab, wie wirtschaftlich und profitabel die Produktionslinien nutzbar sind. Was mich immer aufs Neue fasziniert, ist, wie Druckprodukte in Auflage 1 in einem industriellen Digitaldruckumfeld produziert werden können. Jedes Buch, jeder Folder, jede Broschüre kann hinsichtlich Inhalt, Umfang und Format vollkommen anders aussehen. Die «Mass Customization» – die Anpassung eines Serienproduktes an die Bedürfnisse des einzelnen Kunden – ist somit in der Druckindustrie angekommen.
 
In vielen Gesprächen wird an den HID auch der Energieverbrauch angesprochen, denn der ist mittlerweile ein entscheidender Kostenfaktor. Aufgrund des Einsatzes von wasserbasierten Tinten kommt man an einer Heisslufttrocknung nicht vorbei, und den damit verbundenen Stromverbrauch sollte man bei den aktuellen Preisen schon im Auge behalten. Einige Hersteller haben das Thema aufgegriffen. So spricht etwa HP von einer deutlichen Reduktion des Energieverbrauchs bei der aktuellen PageWide 2200 im Vergleich zu den Vorgängermodellen von an die 40 Prozent.
 
Die ureigensten Vorteile des Digitaldrucks
Die Hunkeler Innovationdays zeigen einmal mehr, wie eine moderne datengetrieben Druckindustrie ausschauen kann, welche neuen Anwendungen sich hier auftun und mit welcher Effizienz sie in einem End-to-End-Workflow gefertigt werden können. Allerdings gehen bei der reinen Verlagerung des Druckvolumens vom Offset- auf den Inkjet-Druck die ureigensten Vorteile des Digitaldrucks verloren, und die liegen neben der Print-on-Demand-Produktion auch in der Individualisierung und Personalisierung. Wenn wir es clever angehen, liefert uns das Internet die entsprechenden Daten dafür.
 
Ihr
Knud Wassermann,
Chefredakteur «Graphische Revue»
 
Lesen Sie morgen an dieser Stelle einen HID-Gastblog von Martina Reinhardt, Chefin vom Dienst «Deutscher Drucker».
 
01.03.2023 Knud Wassermann Chefredaktor «Graphische Revue»