18.05.2021 / Frank Baier

Papier mit neuem Rezept

Baumwolle oder Wolle, Gras oder Hanf als ökologische Bestandteile: Zahlreiche innovative Papierprodukte kennzeichnen heutige Sortimente.
 
Öfters bringen Papierfabriken neue, originelle Produkte heraus, nehmen den Zug auf direktem Weg in Richtung Umweltschutz, Naturschutz und Ressourcenschonung. Längst ist der internationale Wettbewerb um originelle Ideen für ökologisch nachhaltige Spezialpapiere auf alternativer Naturfaser- oder Recyclingstoff-Grundlage in vollem Gange.
 
Jetzt etwas getrocknetes Gras
Derweil ist Graspapier für Anwendungen als Kunststoff-Ersatz, für Verpackungen oder auch Hygiene-Papierprodukte bekannt. Hierfür wird getrocknetes Heu nach einem Verfahren von Creapaper im deutschen Hennef aufbereitet und neben Frischfaser-Zellstoff aus Holz (Zellulose) oder Recyclingpapier verwendet. Mittels eines Graseintrags von 30 Prozent lassen sich bei der Papierproduktion zusammen mit Altpapier rund 15 Prozent CO2-Emissionen und zusammen mit Frischfasern aus Holz rund 23 Prozent CO2-Emissionen sparen.
 
Eigene Produktionskapazitäten in seinem Werk in Düren beziffert Creapaper mit rund 25‘000 Tonnen Fasermaterial. Noch im Frühjahr 2021 soll eine neue, mobile Anlage mit 20‘000 Tonnen hinzu kommen. Graspapier ist recyclingfähig und je nach Bedruckung (beispielsweise mit ökologischen, wasserbasierten Farben) zu 100 Prozent biologisch abbaubar. Mehrere Zulieferer und Dienstleister der Druckbranche haben es heute im Portfolio.
 
Hanf ohne den (Rausch-)Kick
Aktuell kommt Hanf in mehreren Modeprodukten der Konsumgüter-Industrie zum Einsatz. Nachdem der deutsche Papierhersteller Gmund am Tegernsee ein Hanfpapier mit bis zu 50 Prozent Cannabis-Zellstoff entwickelt hat, produziert er nun ein Spezialpapier mit 100 Prozent Cannabis-Zellstoff (ohne Farbstoffe). Dessen lange Fasern sollen für die Papierproduktion eine Herausforderung sein, machen aber das Material zugleich fest im Gefüge und weich in der Haptik.
 
Gegenüber Holz-Zellstoff soll der um vier- bis fünfmal längere Hanf-Zellstoff eine höhere Zug-, Reiss- und Nassfestigkeit aufweisen und aufgrund seiner Robustheit häufigere Recyclingzyklen ermöglichen. Indessen produziert das Unternehmen für die eigene Retailsparte Notizblöcke, Postkarten-Sets und Grusskarten aus Hanfpapier. Zudem ordern es Agenturen und Druckereien sowie Markenartikler – und machen spezielle Broschüren, Kataloge oder Verpackungen daraus.
 
Schöne textile Optik und Haptik
Bereits heute sind Papierprodukte mit natürlichen Bestandteilen aus Algen, Baumwolle, Früchten, Leder, Nüssen, Zellulose oder Wolle für den italienischen Papierhersteller Favini mit Stammsitz in Rossano Veneto und der Produktion in Crusinallo keine Neuheit. Das Sortiment der neuen «Refit»-Recyclingpapiere (15 Prozent Textilrestfasern, 40 Prozent Recycling-Haushaltsabfälle und 45 Prozent Frischfasern) stellt das Unternehmen mit selbst erzeugter Wasserkraft her.
 
«Refit Cotton» und «Refit Wool» zählen dazu: Die Textilrestfasern stammen aus Nebenprodukten des Spinnens und Kardierens von Baumwolle beziehungsweise Wolle und vermitteln dem Recyclingpapier mit dem sichtbaren Flaum eine besondere Optik und Haptik. Vorrangig sollen daraus Verpackungen für Luxus- und Modeartikel entstehen. Grosshändler Antalis vertreibt das «Refit»-Sortiment unter anderem in Deutschland und der Schweiz.
 
Steinpapier anstatt Kunststoff
Aprintia aus Dreieich in Deutschland offeriert seit mehr als fünf Jahren Steinpapier-Produkte. Mithilfe dieses Materials können Point-of-Sale-Artikel, (Rollen-)Etiketten, Landkarten und Stadtpläne oder Werbemittel hergestellt werden. Das aus Calciumcarbonat (80 Prozent) und Polyethylen (20 Prozent) bestehende Material soll gut beschreibbar, sehr reissfest, wasserbeständig und damit vergleichbar mit reinem Kunststoff sein. Bislang habe der Print-Dienstleister Bedienungsanleitungen, Litfasssäulenplakate oder Notfallanweisungsblätter auf dem Material drucken dürfen.
 
Aprintia ist mit der heutigen Resonanz auf die Steinpapier-Produkte jedoch wenig glücklich. Manche Kunden hätten existentielle Probleme und seien nicht imstande oder willens, einen höheren Preis als für Standardware zu zahlen. Letztlich wäre auch die Bereitschaft, mithilfe ökologisch orientierter Print-Erzeugnisse zur Ressourcenschonung beitragen zu wollen, ausserhalb des Blickfelds geraten.
 
Ihr
Frank Baier,
Chefredakteur «Bindereport»